Artikel von Heinz Spielmann* in der Zeitschrift „Neue Keramik“, November 2008

JK – JAN KOLLWITZ – JAPANISCHE KERAMIK – Einige konkrete Beobachtungen und allgemeine Bemerkungen

Die Initialen seines Namens, die Jan Kollwitz mit einem an japanische Schriftzeichen erinnernden, ligierten Monogramm auf den Boden seiner Gefäße, auf seine Visitenkarten, Ausstellungseinladungen und Werkstattprospekte schreibt, verweisen zugleich auf das Konzept seiner Arbeit: Japanische Keramik. Darunter versteht er nicht eine europäische Kunst mit japanisierender Tendenz, sondern ein künstlerisches Handwerk nach Maßgabe des Fernen Ostens, ein Métier, das dem Gebrauch dient, bewährten Regulativen folgt, mehr durch die meisterliche Beherrschung dieser Regulative als durch Individualismus bestimmt ist und der Ästhetik im Alltag dient. Ein solches Verständnis der eigenen Arbeit unterscheidet sich kompromißlos von der verbreiteten Auffassung, Keramik sei eine als autonome Kunst realisierbare Disziplin. Kollwitz kann sich mit einer solchen Auffassung nicht einverstanden erklären, vielleicht deshalb nicht, weil er aus der eigenen Familientradition weiß, welchen Forderungen Kunst entsprechen sollte, denn seine Urgroßmutter war Käthe Kollwitz, die ihre Kunst des Zeichnens, Radierens und der Bildhauerei in den Dienst der Humanität stellte. Wer Kunst an solche Zielsetzungen gebunden sieht, kann sich mit einer mehr oder minder dekorativen, dem Kunstgewerbe im negativen Sinn oft sehr nahe kommenden Art von Keramik nicht zufrieden geben, er wählt statt dessen das weniger Ambitionierte, also das bei aller Bescheidenheit Anspruchsvollere. Mit der Zuwendung zu einer Schönheit für jeden und auf Dauer erfüllt er damit eine humane Zweckbestimmung, wie William Morris forderte, wie Bernard Leach durchsetzte und wie es in Japan noch als Maxime gilt.

Jan Kollwitz beließ es nicht beim Ungefähren, als er sich im Alter von 23 Jahren gegen die Schauspielkunst und für die Keramik entschieden hatte. Er lernte das Handwerk bei Horst Kerstan, der ihm den Respekt vor der japanischen Ästhetik vermittelte, lernte japanisch und begab sich dann in den Fernen Osten. Er fand 1986 eine Umbruch-Situation vor. Zwar bewahrten die tradierten Töpferorte noch ihr Erbe; von den „alten Öfen“ des 13. Jahrhunderts waren dies vor allem Seto, Tamba, Bizen, Tokoname und nach einer Phase der Stagnation auch Shigaraki. Von den „neuen Öfen“ des 16./17. Jahrhunderts standen Hagi und Karatsu weiter in Blüte. Das von Hamada Shojis** Ruhm und Lehre lebende Mashiko hatte an diesen Orten ein neues, ungemein fruchtbares Angebot gegenübergestellt. Aber der regional geprägte Typus der „alten“ und „neuen“ Öfen hatte sich vielfach von der Ortsgebundenheit gelöst. Eine jüngere Generation hatte sich an anderen Plätzen Werkstätten eingerichtet, ging freier mit ererbten Regulativen um, wenn sie sich nicht auf individuelle Weise neu orientierte und eine nach einem eigenen Topos ausgerichtete plastisch-keramische Kunst favorisierte.

Echizen, für das Jan Kollwitz sich entschied, war zwar einer der ältesten japanischen Keramik-Orte, aber seine durch eine bäuerliche Ware – vor allem große Vorratsgefäße – geprägte Tradition war weitgehend erloschen. Die umsichtige Präfektur-Verwaltung machte große Anstrengungen zur Belebung und Erneuerung des Erbes, gründete ein Museum mit alten, zum Teil bei archäologischen Grabungen gefundenen Stücken der regionalen Produktion, half jungen Töpfern bei der Ansiedlung und ließ nach dem Konzept des berühmten Seto-Meisters Kato Tokuro einen Ofen bauen, der den Werkstätten zur Verfügung stand. Jan Kollwitz fand mithin, als er ankam, eine durchaus lebendige, im Aufbruch befindliche Szene vor, aber er traf auch auf Werkstätten sehr verschiedener Ausrichtung. Zunächst arbeitete er bei Nakamura Yukata, der ebenso wie seine Frau eine abstrakt-zeichenhafte Kunst vertrat. Bei allem Respekt vor diesem Meister: Kollwitz wollte etwas anderes, er dachte nicht an eine zweckfreie Kunst – er wollte Gefäße machen und fand dabei Unterstützung durch Yamada Kazu. Yamada kam aus Tokoname; sein Vater war dort ein geachteter Töpfer, er selbst ein Schüler des großen Kato Tokuro. Seine Arbeiten verraten diese Einflüsse, zeigen das rote oder weiße Shino, das grüne und schwarze Oribe. Der junge Deutsche folgte, bei aller persönlichen Freundschaft, jedoch auch ihm nicht, sondern orientierte sich am Typus von Shigaraki. Er besteht aus einem Ton mit Quarzeinschlüssen und gewinnt seine Zeichnung allein aus dem Brand im Holzofen.

jan kollwitz gluehende teeschale

Einen dafür geeigneten Anagama-Ofen ließ sich Jan Kollwitz 1988 unweit der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Benediktinerklosterkirche Cismar durch den japanischen, aus Mino stammenden Watanabe Tatsuo bauen. Er bereitete sich einen für seine Zwecke geeigneten Ton durch Beimengungen von Quarzsand und eröffnete 1990 auf diesen Grundlagen seine Werkstatt. Bald begann er eine Folge jährlicher Ausstellungen, deren dritte 1993 unweit der Werkstatt durch das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum ausgerichtet wurde. Seitdem hat der Töpfer seine Ressourcen ausgebaut, ohne seine Ziele grundsätzlich zu ändern. Er beharrt auf dem Kanon fernöstlicher Gefäßtypologie und unterstreicht seine Haltung noch dadurch, dass er die japanischen Begriffe verwendet, etwa Hanaire für Vase, Oke für Brauchwassergefäß, Kame für Vorratsgefäß, Suiban für eine rechteckige Ikebana-Schale. Er glaubt daran, dass seine Arbeiten auch dann, wenn sie für eine spezifisch ostasiatische Zweckbestimmung wie für die Teezeremonie gedacht sind, in Europa ebenso dem Alltag dienen können. Für große oder kleine Vasen und Schalen, für Kummen und Deckeldosen findet sich durchaus auch hier eine Gebrauchsfunktion, zumal für denjenigen, der abseits von Konventionen seinem Leben eine Form geben will. Mit seiner kompromisslosen Konzeption hat Jan Kollwitz viele Freunde gefunden, sich einen Namen gemacht und eine eigenständige, wenn auch in Europa ein wenig exotisch scheinende Position geschaffen.

Auf den ersten Blick scheint es in der Entwicklung des Künstlers während der letzten eineinhalb Jahrzehnte keine ins Auge fallende Entwicklung gegeben zu haben. Sieht man genauer hin, bemerkt man, dass Kollwitz dem Ofen, dem Holzbrand und der Feuerführung neue, subtile Nuancen abgewann. Die einem warmen hellbraun zu rotbraun, zu schwarz und blaugrau wechselnde Farbigkeit wurde satter, der Aschenfluss kräftiger, die zufällig scheinende Verformung selbstverständlicher. Man spürt, dass hier jemand nicht auf Sensationen und vordergründige Effekte, nicht auf leicht zu erreichende Resultate, auf Sprünge und individuellen Ehrgeiz setzt, sondern auf die allmähliche Steigerung der Qualität, auf das Erreichen künstlerischer Substanz durch eine konsequente Beherrschung des Handwerks nach der Überzeugung, die Goethe vertrat, als er in seinen „Maximen und Reflexionen“ feststellte, aus tüchtigen Farbenreibern seien schon oft hervorragende Maler geworden.

Die japanische Keramik war seit dem späten 19. Jahrhundert das wichtigste Vorbild für die europäische. Die Künstler, die ihr nacheiferten, beherrschten jedoch nicht deren Technologie, sie ahmten etwa das Seladon, die Reisstrohaschenglasur, die Goldlackreparaturen ganz äußerlich nach, mischten etwa Kupferoxyde mit anderen Zusätzen, um auf diese Weise bei oxidierendem Brand ein dem Seladon ähnliches Graugrün zu erzeugen. Jan Kollwitz hat sich für eine diametral andere Rezeption der fernöstlichen Vorbilder entschieden, für eine Arbeit nach den genau übernommenen Verfahren und, darüber hinaus, für eine Orientierung an Form und Funktion. In einer Zeit, die ganz auf Individualität abhebt und das learning by doing the same verschmäht, erscheint heute eine Haltung als obsolet, die jahrhundertelang auch in Europa bestimmend war und etwa in der authentischen Volkskunst über alle Veränderungen hinweg kulturelle Identität ermöglichte. Neu daran ist, daß im Zeichen der Globalisierung das Beharren auf kulturellen Ressourcen weite Räume überbrückt. Wie auch immer das Urteil darüber ausfällt – an einem ist nicht zu zweifeln: Wenn unser Individualismus sich nicht der Mittel versichert, mit denen er sich darzustellen vermag, wenn Kunst nicht im weitesten Sinn ihr Handwerk beherrscht, gibt sie ihre Grundlagen auf. Jan Kollwitz geht dagegen auf elementare Weise an und trägt damit dazu bei, Ressourcen zu erhalten, auf denen andere aufbauen können. Schließlich eine Anmerkung zu einem Paradoxon: Während die mittlere und jüngere Generation in Japan sich mehr und mehr dem aus dem Westen kommenden Individualismus verschreibt, bekennt sich in Deutschland ein gleichaltriger Künstler zu einem antipodischen Konzept. Es lohnt sich zu beobachten, was daraus resultieren wird.

 

* Prof. Dr. Heinz Spielmann war langjähriger Direktor der Landesmuseen Schloss Gottorf in Schleswig und wurde danach Gründungsdirektor des Bucerius Kunst Forums, Hamburg.

** Die japanischen Namen mit dem Familiennamen an erster, dem Vornamen an zweiter Stelle angeführt.