Keramik Ostholstein

Ansprache von Volker Harlan* zur Eröffnung der Ausstellung „Jan Kollwitz – Japanische Keramik“
Ostholstein-Museum Eutin
8. Juni 2008

Herr Dr. Hahn, herzlichen Dank für Ihre Begrüßung und Einleitung. Ich freue mich, Jan Kollwitz begrüßen zu können und Sie alle natürlich zu dieser Geburtsfeier der Anagama-Brennofenkeramik, die wir hier jetzt in dieser Stunde und mit dieser Ausstellung feiern.

Die Keramik, die hier heute gezeigt wird, ist erst einen Monat alt, sie stammt aus dem letzten Brand und erlebt hier gleichsam ihre öffentliche Wahrnehmung – man könnte sagen ihre Taufe – und wir sind alle die Taufgäste, und einige werden Taufpaten werden.

Herr Kollwitz hat normal, wie in Deutschland möglich, eine Töpferlehre absolviert, wenn auch nicht irgendwo, sondern bei Horst Kerstan in Kandern im Südschwarzwald, der als Lehrer für Keramik-Kunst einen besonderen Namen hatte und hat. Jan Kollwitz hat sich schon während dieser Zeit, aus welchen Tiefen auch immer, für die Keramik in Japan interessiert, und ist dann mit seiner Frau zusammen 1986 und 1987 nach Japan gegangen. Er hat zunächst dort so viel sprechen gelernt, dass die Leute, bei denen er sich bewerben wollte, ihn verstehen konnten, dann fand er schließlich Yutaka Nakamura als Töpfermeister in einer Werkstatt mit alter Tradition, der bereit war, ihn zunächst zu dulden, aufzunehmen, mit ihm zu arbeiten und ihn arbeiten zu lassen.

In Japan sind Lehren anders als bei uns. Bei uns dauert eine Lehre 3 Jahre, dann kommt die Industrie- und Handelskammer und nimmt die Prüfung ab, und dann ist man Töpfergeselle und kann dann noch Meister werden. In Japan gibt es Vergleichbares nicht, aber unter 7 Jahren kommt eine Lehre gar nicht in Frage. In diesen 7 Jahren lernt man das, was der Meister macht, mitzuvollziehen, gleichsam sympathetisch, so dass man mehr und mehr in die Haltung findet, aus der heraus die Keramik des Meisters entsteht, dass man mehr und mehr lernt, die bestimmten Formen, die in seiner Werkstattfamilie seit Generationen, manchmal seit Jahrhunderten, gepflegt werden, aufzunehmen und nachzuvollziehen, wie es, so könnte man sagen, im Zen eben üblich ist. Man vollzieht etwas so lange, bis man sich des Vollzuges nicht mehr bewusst sein muss, sondern wenn man sich hinsetzt, eine Vase, eine Teeschale zu machen, dann macht sie sich selbst aus dem, was man eingeübt hat. Es ist für Jan Kollwitz eine enorme Herausforderung gewesen, in diese Art von Ausbildung einzutreten, flüchtig für japanische Verhältnisse, aber doch tiefgreifend für denjenigen, der sich als Europäer dem ganz öffnet.

Und es ist dann auch möglich, wenn die Kraft, die Gestaltungskraft, stark genug ist, das Gelernte wahrzunehmen, aufzunehmen und dann unabhängig von der gepflegten Tradition selber zu realisieren.

Die Keramik, die Jan Kollwitz macht, verkörpert im besten Sinne das, was die alten Griechen techne nannten und wobei Kunst und Handwerk nicht unterschieden werden. Heute ist das ja vielfach auseinander getreten, und nur wer vermögend ist, kann es sich noch leisten, dass ein Handwerker etwas speziell für ihn herstellt, einen Tisch etwa oder den Empfangsraum einer Anwaltskanzlei, sonst kauft man eben bei IKEA die Billigmöbel, die zu Tausenden in der immer gleichen, identischen Form hergestellt werden.

Der Form nach sind die japanischen Keramiken dort, wo sie in einer Schule gepflegt werden, sich auch recht ähnlich, aber was durch den Brand am Ende entsteht, das ist doch nie vorauszusehen. Und das ist das Besondere an dieser Keramik, die wir uns heute ansehen können.

Es gibt in Japan 6 alte Öfen, also sechs Städte, in denen eine Keramiktradition zu Hause ist, die jeweils in einer ähnlichen, leicht variierten Form aus alter Bauernkultur entstanden ist, entweder als Aufbaukeramik, in Echizen, wo Jan Kollwitz gelernt hat, oder als auf der Scheibe gedrehte Keramik, in Shigaraki oder Iga. Oder auch an beiden Orten jeweils wechselseitig und die nicht Glasur macht, die also nicht Kunst intendiert und Glasuren ausdenkt, die in besonderer Feinheit, Schönheit, Glanz oder Farbleuchten die Keramik einzigartig machen, sondern die einfach sozusagen den Pott in den Ofen stellt, erhitzt und, wenn es fertig ist, wieder aus dem Ofen holt.

Dennoch zeigt sich in der alten Keramik, die ja stets rein als Gebrauchsgut gefertigt wurde, das Wunderbare – schon die alte, uralte Töpferei aus der Steinzeit konnte niemals ohne ästhetischen Reiz sein. Wenn man eine Pfeilspitze aus der Jungsteinzeit in der Hand hat, sei es hier aus Ostholstein oder sei es aus Ägypten oder wo immer, so hält man ein wunderschönes Kunstwerk in der Hand. Eine Speerspitze, ein Messer, es ist nie etwas, was eben einfach aus der Vermannigfaltigung derselben Produktion hervorgeht, sondern jedes Stück ist ein Unikat, will es gar nicht sein, ist es aber, und wird damit aus der Technik heraus zum Kunstwerk.

Inzwischen kam aber in Japan die Freude an chinesischem Porzellan so stark auf, dass die Fürsten, die Shogune, die Regenten im Lande die gesellschaftliche Notwendigkeit sahen, chinesisches Porzellan zu besitzen und Gelegenheiten zu suchen, es auch auszustellen und damit zu prunken. Eine Gelegenheit, es auszustellen, war die Teezeremonie. Die galt dann weniger dem Teetrinken, als dass man seine chinesische Porzellansammlung ausbreitete, das Publikum beispielsweise im Park des Palastes daran vorbei flanieren ließ, und ehe es zum Teetrinken kam, wurde das Porzellan schon wieder eingesammelt. Die Schau überzeugte. Bis unter Hideyoshi in der Zeit, die in Europa als Renaissance bekannt war, eine Art Renaissance der Bauernkultur stattfand, also eine Wiederbelebung alter Techniken und Handwerke, die aber nicht wie bei uns in das eintauchte, was wir hier kurioserweise um uns sehen, wo Tischbein insbesondere die griechische Kultur kopierte, im 18 Jahrhundert, oder eben früher im 16. Jahrhundert, als die Renaissance aufkam und man sich an den griechischen und römischen Skulpturen ergötzte und sie nachzubilden versuchte, sondern Sen no Rikyu, der Teemeister von Hideyoshi, beschritt einen völlig anderen Weg. Er war Zen-Buddhist und im Zen-Buddhismus ist nicht das Äußere, die äußere Pracht, dasjenige, was gepflegt sein will, sondern das Innere soll gepflegt werden und soll in seiner Pflege jedes äußeren Tands entbehren. Das Einfachste als das Einfache nehmen und nicht fragen „Wie kann ich etwas zur Schau stellen?“, sondern „Wofür ist es geeignet?“ Im Geeigneten aber dann doch wahrnehmen, welche ästhetische Qualität es hat. Dafür führte Sen no Rikyu die Teezeremonie heraus aus dem Palast in eine Hütte am Rande des Waldes oder am Rande eines Sees, eine kleine Hütte, zwei Matten, drei Matten, acht Matten vielleicht, wenn die Teegesellschaft größer war, eine einfache, strohgedeckte Hütte, mit einem Eingang so niedrig, dass der Fürst sich bücken musste, wenn er eintrat, ja, sein Schwert ablegen musste, denn es war ein Haus des Friedens, in dem man auf der Tatami-Matte saß, mit einer Nische in der Wand, in der die Blume stand und in der ein Rollbild hing, vielleicht mit einem Weisheitsspruch darauf. Und dann, ja, was dann? Sen-no-Rikyu lehrt: Die Kunst des Cha-no-yu besteht einfach darin, Wasser zu kochen, Tee zu bereiten und ihn zu schlürfen. Das war alles…

Und indem ich das jetzt bewusst im Sinne von Suzuki so beschreibe, es ganz zurücknehme auf diese vier Grundfunktionen, kehren wir ein in etwas, was dieses Wasserschöpfen zu einem symbolischen, ja, zu einem sakramentalen Akt macht. Sakramental insofern, als dasjenige, was das Wasser ist, eine Symbolkraft bekommt, die im Anschauen, auch im Zusichnehmen, etwas vergegenwärtigt, was die Seele erst erreichen will. Rein werden, klar werden wie die Quelle. Oder tief werden wie der Brunnen. Oder alles Trübe sinken lassen. Oder die Seele zum Spiegel des Himmels machen. Diese wenigen Andeutungen, die man um vieles erweitern könnte, wollen aber vollzogen sein, so wurde die Teezeremonie, der Teeweg, Chado, einer der Wege, den man aus dem Buddhismus heraus pflegen konnte, in Anschauung von etwas, was der Natur angehört, und ein Seelisch-Geistiges pflegen.

Das Wasser wurde als Qualität zu einem Bild der Seele, die sich auf einen Weg machte und wusste, dass dieser Weg lang ist. Der Begriff Tee-Zeremonie ist eigentlich falsch, weil es ja keine Vorführung war, sondern es war ein gemeinsamer Vollzug. Der Vollzug, zunächst einmal das reine Wasser zu schöpfen und es als solches wahrzunehmen. Das Gefäß, mit dem das Wasser geschöpft wurde, konnte ein Bambusbehälter sein, ein kleines Schöpffass, zusammengesetzt aus Bambuslatten, wie das die Küfer auch damals schon machten, mit dem man das Wasser aus dem Brunnen herausholte und ins Haus trug. Kein Prunkgefäß, sondern etwas, das zum Wasserschöpfen geeignet war und das Wasser hielt. Anschließend wurde das Wasser in ein bereit stehendes Gefäß gegossen, damit man das Wasser auf dem Holzkohleofen kochen konnte. Wasser aus dem Brunnen schöpfen, Erhitzen des Wassers, den Tee bereiten und dann den Tee trinken.
Das Kochen des Wassers ist aber auch etwas, was nicht gleichsam nur per Switch-on bereitgestellt wurde, sondern man bedurfte ja der Holzkohle. Wie kommt das Holz zustande, wie kommt die Hitze aus dem Holz heraus? Da musste erst die Sonne scheinen und die Sonne, wie Platon schon sagte, macht nicht nur sichtbar, sondern lässt das Sichtbare überhaupt erst gedeihen. Keine Pflanze könnte wachsen, wenn die Sonne sie nicht beschiene, und dasjenige, was die Pflanze synthetisiert – als Erdenstoffe, als Luft, Wasser und Mineralien des Bodens – wird mit der Kraft der gegenwärtigen Sonne synthetisiert. Die lässt die Pflanze wachsen, die lässt den Baum emporstreben, die lässt ihn aufrecht stehen. So dass das Anschauen eines aufrechten Baumes denjenigen, der ihn anschaut, anregen kann, Aufrichtigkeit zu üben. Trieblos zu sein wie ein Baum.

Das ist Zen-Kultur. Standhaft zu sein wie ein Baum, der – welches Wetter auch sein mag – seinen Platz behauptet, indem er seinem Ziel folgt, indem er dem Himmel-Wachstum folgt, das er als seine eigene Schrift gleichsam nach außen hin realisiert. Und dieses Holz, das an der Sonne wuchs, konnte dann getrocknet, verkohlt und schließlich verbrannt werden. Wenn aber der Japaner Sonne sagt, dann ist das nicht einfach nur jener Heliumball – Helios, die Sonne –, in dem mittels Fusionsreaktor fortwährend Lichtquanten in den Kosmos geschleudert werden, sondern die Sonne ist die höchste Gottheit der Japaner. Und die Kaiserfamilie schreibt ihre Herkunft mythisch der Sonnengöttin Amaterasu zu. Daher entstammt die Kultur, die innere Kultur, die genealogische Kultur Japans aus der Sonne. Und wir haben ja noch im Wappen oder in der Fahne Japans die rote, im Osten aufgehende Sonne, die uns da auf dem weißen Grund entgegen leuchtet. Sonnenlicht im Baum, im Holz gehalten, nun wieder frei werdend im Feuerprozess, im Sulphur-Prozess, wie die Alchimisten in der Renaissancezeit bei uns hier in Europa sagten, und diese Sonnenenergie, diese Licht- und Wärmeenergie geht bei der Erwärmung in das Wasser über, bis das Wasser kocht und dann lässt man es wieder zurückgehen, dass es nicht kochend auf die Teeblätter oder auf das Teepulver gegossen wird, sondern sozusagen sich wieder etwas zurücknimmt, ehe es dann auf den Tee gegossen wird oder in das Pulver gerührt wird, ehe die Teezeremonie vollzogen wird, und das Wasser dann aufgenommen wird durch den Trinkenden, der aber niemals den Inhalt einer Teeschale herunterstürzen würde, um den Durst zu löschen, sondern die Qualität des Wassers, die Qualität der aus der Sonne stammenden Wärme, mit dem Schluck, den er nimmt, mit diesem einen Schluck, in sich aufnimmt, ehe er das Teegefäß weiterreicht an seinen Nachbarn, der den nächsten Schluck nimmt. Also auch das wieder ein symbolischer Akt, ja man könnte es, man darf es vergleichen mit demjenigen, was in der Christenheit mit dem Kelch geschieht, aus dem auch nur ein Schluck genommen wird, nicht um den Durst zu löschen, sondern um an dem teilzunehmen, was sich in dieser Substanz durch den Prozess vergegenwärtigt.

Das ist es, was der Alchimist Mitteleuropas oder der Zen-Buddhist Japans dabei empfand und auch noch empfindet. Es ist nämlich keine rein buddhistische Tradition, auch wenn der Zen-Buddhismus sie streng gemacht hat, kultiviert hat, sondern es ist auch die alte shintoistische Religion. Beides geht ja in Japan Hand in Hand. Wenn im Reiseführer steht, so und so viele Millionen sind Shintoisten, so und so viele sind Buddhisten, dann ist das rein lebensmäßig unsinnig, denn alles, was lebensmäßig aufstrebt, von der Geburt bis zur Heirat, wird selbstverständlich im Shintoismus vollzogen, und alles, was in das Leiden führt, was in die Verinnerlichung führt, was an die Todesgrenze führt, was in die Welt des Geistes führt, das wird buddhistisch gepflegt. Und so pflegt auch der Buddhismus einen Feuer-Ritus, der natürlich viel älter ist als der Buddhismus. Das Christentum hat es verstanden, all das, was heidnisch genannt wurde, völlig herauszuhalten, mit der Folge, dass sich eine materialistische Naturwissenschaft entwickelt hat, die überhaupt keine übersinnliche Welt mehr kennt. Der Japaner pflegt im Shintoismus ein Verehrungsverhältnis zur Natur, in dem er im Anschauen dessen, was da an Kostbarkeit entsteht, wenn die Pflaumenblüte oder die Kirschblüte sich öffnet, wenn das Laub im Herbst rot oder gelb wird, seine Verehrung entgegenbringt.

Man muss das einmal erlebt haben, wenn in Japan beispielsweise zwei Damen an dem Philosophenweg entlang spazieren, der sich im Osten von Kyoto befindet und zwei Tempel miteinander verbindet. Die blühenden Kirschzweige neigen sich zu dem Weg herunter, die Damen bleiben stehen, beugen sich über die Kirschblüten und sagen: „Oooooooh, ooooooh!“ Ein aufsteigender Ton. Bei uns sagt man „Oh!“ oder „Ah!“, kein staunendes, verehrendes Anschauen dessen, was da als Wunder in der Natur, aus der Natur erscheint.

Vielleicht wird sich in der Zukunft durch die Globalisierung eine Möglichkeit auftun – es mag noch einige Zeit dauern –, dass sich dieser Verehrungsweg des Ostens und der Kenntnisreichtum des Westens wieder so verbinden können, dass Gestalt, morphae, dasjenige, worum Goethe in der Anschauung der Natur rang, wieder etwas wird, was man entdeckt und auch unter Naturwissenschaftlern beschreiben darf.

Derjenige, der den Tee zu sich nimmt, nimmt also dasjenige, das wir eben andeutungsweise angesprochen haben, in sich auf. Welches Gefäß ist denn geeignet, dasjenige, worum es bei den Substanzen geht, auch zu tragen? Vom Wasserbehälter angefangen, von der Teekanne angefangen, von der Teeschale bis hin zur Blumenvase, in der mit einer einzelnen Blume die anwesende Gottheit verehrt wird.

Im Grugapark in Essen kann man in das „fleißige Lieschen“ steigen, so ein kleiner Zug, der auf Gummirädern fährt und einen durch die Blumenschau fährt, wo garantiert wird, dass man drei Millionen Tulpen sieht. In Japan, wo diese Blumenverehrung eine ganz andere Qualität hat, wurde über Sen no Rikyo berichtet, dass er die wundervollste Winde in seinem Garten habe. Das hörte der Shogun Hideyoshi und strebte hin, die Winde zu sehen. Er kommt hin, findet den Garten umgegraben, wird ins Haus gebeten und in der Blumennische im Teeraum steht in einer Schale eine einzige Blüte, die auch nur heute blüht. Aber dieser Blüte galt dann die vollständige Hingabe und Verehrung. Dann können die Vielen zurücktreten, weil sie sich in der Einen zu offenbaren vermögen. Und vielleicht können Sie ein wenig durch meine Worte nachfühlen, welche Stimmung bei solch einer Zeremonie herrscht, und wenn dann die Teeschale, in die der Tee gefüllt wird, herumgereicht wird, dann ist auch das Anschauen dieses Gefäßes etwas, was dazugehört. Das Anschauen der unscheinbaren Teeschale. Wie kommt sie zustande?

Das führt uns nun zur heutigen Ausstellung. Also, Erde wird gebrannt, und wenn sie fest ist, ist sie verwendbar. Ohne Zweifel. Aber man vergegenwärtige sich, wie das geschieht: Es wird der geeignete Ton, die geeignete Erde, die eine entsprechend brauchbare Zusammensetzung hat, in einem sorgfältigen, wieder möchte ich sagen alchemistisch begleiteten Prozess, geschlagen – wie bei unseren Töpfern auch –, bis alle Luft herauskommt, bis der Ton so durchwässert, so gefügig ist, dass er der die Form fügenden Hand nachgibt. Also, die Erde wird leicht, wird zart durchwässert, bis sie, wiederum alchemistisch gesprochen, ihre Sal-Kraft, nämlich ihre Formfestigkeit, aufgibt und von Merkur, vom Wasser durchdrungen, schmiegsam, fügsam wird und sich gestalten lässt wie vorhin schon angedeutet, entweder durch Aufbaukeramik – nicht, dass der Aufbaukeramik übende Künstler nicht auch die Drehscheibe benützen könnte, ja er macht vielleicht sogar beides, dass er Ring auf Ring die Vase baut und sie dann hinterher auf der Drehscheibe noch einmal dreht, um wenigstens die Außenseite etwas mehr zu glätten, innen sieht man gleichsam noch die Wülste übereinander, und Sie können das hier auch bei einzelnen Vasen sehen, wie diese Rundungen nicht nur dem Daumendruck entspringen, sondern auch dem Aufbau, wie dann langsam die anorganische Substanz eine organische Form annimmt durch die Hand des Töpfers.

Dann muss das Ganze wieder trocknen, wie bei jedem Keramikprozess, es dauert seine Weile, und wenn es fertig ist, wird es in den Anagama-Ofen gebracht. Das ist ein relativ einfacher Ofen, eine Art Tunnel, eine Höhle, in die allerdings ziemlich viel Keramik hineingestellt werden kann, 150 bis 350 Stücke. Die großen Öfen in Japan, die 5, 6, 8, 10 Ofenkammern hintereinander hatten, fassten sehr viel mehr Gefäße, sehr viel mehr Masse; sie waren für Gebrauchsgeschirr gemacht. Der Ofen von Jan Kollwitz fasst etwa 300 Stücke, kleinere, aber auch die ganz großen Vasen, die Sie im Ausstellungsraum sehen können, und man fragt sich „Wie kriegt er das fertig, solch ein Ding zu produzieren und zu brennen und dann diesen Wunderglanz kommen zu lassen, der uns überrascht und erfreut?“

Also, der Ofen wird vorbereitet, hinten für den Rauch die Esse, vorne eine Feuerstelle. Dann wird der Ofen langsam gefüllt. Sehr kunstvoll. Weil der ganze Ofen so vollgestellt werden muss, dass er einerseits optimal ausgelastet ist, gleichzeitig der Töpfer die Einzelteile dorthin stellt, wo er wissen kann, da schlägt die Flamme mehr durch, hier schlägt sie weniger durch. Hier wird es sozusagen nur heiß, dort brandet die Flamme heran, da fliegt, da wirbelt die Asche drüber, die beim Brand entsteht. Also schon das Einrichten ist eine Kunst für sich und davon hängt dann viel von dem ab, was am Ende möglich wird.

Dann, wenn der Ofen gefüllt ist, gesetzt ist, dann wird die Tür, durch die man eintreten kann, verschlossen, zugemauert, dicht gemacht, so dass nur nach vorn die Öffnung übrig ist, durch die man das Holz hineinwirft, und dann wird vorn, außerhalb des Ofens, das Feuer vorbereitet. Ehe aber der Brand beginnt, werden drei kleine Schälchen oben auf den Ofen gestellt, ein Schälchen mit Salz, ein Schälchen mit Sake und ein Schälchen mit Reis. Also etwas Kristallines: der Sal-Prozess, das Salz; etwas Flüssiges: Merkur-Prozess, der Reiswein; und etwas, was aus dem Sommerfeuer als Same hervorgeht, das Getreide, der Reis: Sulphur-Prozess. Diese drei Schälchen stehen da oben. Man kann das wieder damit vergleichen, wie in unserer Renaissance die Alchemie auflebte und in diesen drei Substanzprozessen – Sal, Merkur und Sulphur – versuchte, die Trinität, die Dreifaltigkeit, die drei Grundschöpfungsprinzipien dieser Welt, den Tragegrund des Vaters, die Evolutionskraft des Sohnes und die Begeisterung, die moralische Intuition des Geistes, zusammenzuführen in der Anschauung von Sal, Merkur und Sulphur. Vergleichbar dazu, mit anderer Begrifflichkeit, vielleicht auch mehr aus Intuition heraus, stellt der Töpfer diese drei Schälchen auf und vollzieht eine Art Bitt-Ritual, dass gute Geister diesen Brand begleiten mögen, damit er gelinge.

Dann wird das Feuer angezündet und langsam in den Ofen hineingeführt, so dass die Temperatur sich erhöht bis auf 500, 600 Grad, ehe das Feuer hochgefahren wird. Zunächst mit Buche, die nicht so intensives Feuer gibt, und schließlich, wenn dann eine Temperatur erreicht ist, bei der man sicher sein kann, jetzt ist wirklich alles ausgetrocknet, es wird nichts mehr springen, wenn die Temperatur erhöht wird, dann wird mit Redpine, mit Kiefer bei uns, gefeuert. Und dieses Feuern heißt, vier Tage lang etwa alle 3 Minuten von morgens bis nachts, von nachts bis morgens, Holz nachlegen. Zwei bis drei etwa unterarmlange, ellenlange Stücke Holz werden bei offener Klappe hineingeworfen, die Klappe wird zugemacht und nun entsteht ein wunderbarer Atmungsprozess. Wird die Klappe aufgemacht und das Holz hineingeworfen, loht der Ofen innerlich auf und aus den Löchern seitlich oben, an denen man das kontrollieren kann, schlägt weit die Flamme heraus, leuchtend gelbrot. Ist die Klappe zu, nimmt der Sauerstoff ab, die Reduktion fängt an, die Flamme zieht sich zurück, wird purpurn, wird bläulich – wunderbare Farben entstehen da. Dann kommt der nächste Schub und in diesem Drei-Minuten-Rhythmus atmet der Ofen nun in unserem Falle vier Tage und Nächte.

Ich kenne in Japan einen Keramiker, der zehn Tage und Nächte brennt, ja angefangen hat mit 15-tägigem Brennen. Da muss man zu zweit schon ziemlich stabil sein, das durchzuhalten, rein physiologisch, vom Schlaf her. Aber wenn man in der Nacht an dem Ofen sitzt, wie ich das vor drei Jahren erleben durfte – im nahen Weiher ruft die Rohrdommel, ab und zu schnattern die Wildgänse auf, sonst völlige Stille – und nur immer dieses dumpfe Feuerbrodeln in diesem Wärmeleib, wohl eingehüllt von den Schamottesteinen, und die Temperatur steigt und steigt und steigt. Eventuell, wenn es sehr heiß wird, loht die Flamme hinten aus dem Schornstein heraus, dann ist sie 6, 8, ja noch mehr Meter lang, eine ununterbrochene Flamme, die den ganzen Ofen durchzieht, und mit sich aus dem verbrennenden Holz die Asche trägt, die nun unterwegs herabrieselt und sich auf den Töpfen, auf dem Gefäß niederlässt. Und wenn die Temperatur 1250, 1300 Grad oder gar noch mehr erreicht, dann beginnt die Asche zu schmelzen. Das Mineralische – Asche ist ja reines Mineral – das Mineralische fängt an, flüssig zu werden, merkuriell zu werden, und fließt – bei manchen Gefäßen kann man das regelrecht sehen – an den Gefäß herunter in langsamen, dicken Tropfentränen, die dann erstarren. Und dann entstehen in diesem Vorgang, wenn Sie hier hereinschauen sehen Sie das, wie die Asche tropfenförmig in dieses Gefäß gelaufen ist, und Sie sehen, wenn Sie es so vor sich haben, wie die Seiten sehr verschieden aussehen. Es ist ein- und dasselbe Gefäß, aber mit einem außerordentlichen Wechsel von Farbigkeit, von Glanz, von Rausein und von Glattsein. Indem die Asche herangeweht wird, hier am intensivsten, läuft sie schließlich herunter und bildet dieses zarte Grau.

Diese Seite hat näher an der Feuerstelle selber gestanden, wo gegen Ende noch etwas Asche nachgelegt wurde, da wird es blau, kann aber auch, je nachdem, grün werden, immer aber wird die Keramik braun, mit diesem Braun, was wir hier sehen. Wenn die Asche dünn genug ist, bleibt es braun, wenn sie dicker wird, dann wird es eben grau, graugrünlich oder schließlich graubläulich und kriegt diese unglaubliche Vielfalt an Charakter, die wir an solch einem Gefäß bewundern.

Also die Erde wird in die Feuerglut hineingebracht, und Erde und Feuer begegnen sich, so dass ein Mittelprozess, ein Schmelzprozess beginnt, ja, die Töpfe sind sogar weich in diesem Moment, wo die Asche schmilzt. Fällt, was manchmal passiert, eine Vase um, die weiter vorn steht, dann wird sie – das sehen Sie oben auch bei einigen Exemplaren – dann wird sie etwas ovaler, wo sie vorher rund war, weil der Ton selber anfing, wie Teig zu werden. Ist der Brand beendet, wird der Ofen geschlossen. Dann folgt der Vorgang der langsamen Abkühlung, und das, was entstanden ist, bleibt nun. Was wird entstanden sein? Keiner weiß es. Und selbst wenn man hineinschaut in den offenen Ofen, während nachgelegt wird, sieht man nur weiße Glut. Die einzelnen Gefäße leuchten glühend hell. Dann erlischt die Glut und es braucht knapp eine Woche, bis der Ofen von den 1300 Grad so langsam abgekühlt ist, dass nichts zerspringt, und man dann ein paar Steine herausnehmen kann, damit etwas kühlere Luft hineinströmt. Dann kommt der Moment, der für den Töpfer wie ein Moment der Geburtshilfe ist, wo er den Ofen öffnet und sich gleichsam fragt, ist es ein Junge oder ist es ein Mädchen?

Die Spannung, verehrte, liebe Zuhörer, ist fast die gleiche, denn es ist sein Jahreswerk. Neun Monate Arbeit, bis er wieder brennen kann, den Brand vollzieht und dann zum Geburtshelfer wird und schaut, was diese Feuergeister in dem Ofen, was die Salamander, die Sylphen, die Undinen und die Gnome, um in alchemistischer Sprache zu reden, bereitet haben, und wenn schließlich die Tür wieder ganz geöffnet ist und die Gefäße herausgeholt werden, dann versammelt sich in Japan die ganze Familie und die Freunde, alle bekommen weiße Handschuhe, und dann holt der Töpfer selber das Gefäß heraus und trägt es wie die Mutter ihr Neugeborenes mit großer Freude und gleichzeitig mit der Frage „Wer bist du? Wer ist da zu uns gekommen?“ heraus und dann reicht er es dem Nächsten mit einer Verehrungsverbeugung. Der wiederum empfängt es liebevoll, betrachtet es, beschaut es, und so geht es von Hand zu Hand, bis es dann irgendwo auf Stroh abgestellt wird, damit es sich nicht stößt. Ein wunderbarer Moment, wo jetzt das Einzelne, wie wir es heute bewundern dürfen, herauskommt. Würde man die einzelnen Brände von Jan Kollwitz vergleichen können, die im Laufe der letzten 20 Jahre entstanden sind, dann würde man sehen: Jeder Brand hat seinen eigenen Charakter. Dieser Brand scheint mir, hat eine besondere Lichthaftigkeit in seinen gelblichen Tönen, andere sind dunkler, im roten Ton dunkler geworden.

Sie sind jetzt hier die Geburtstagsgäste und können sich mitfreuen, dass wir heute dieses Fest miteinander feiern dürfen. Seien Sie herzlich willkommen und schauen Sie sich in dem großen Saal das Wunder, das entstanden ist, an. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Daisetz Teitaro Suzuki: ZEN und die Kultur Japans, Hamburg 1958, S. 70f.

* Prof. Dr. rer. nat. Volker Harlan ist Honorarprofessor an der Hochschule für Künste im Sozialen in Ottersberg mit den Schwerpunkten Goetheanistische Phänomenologie, Morphologie, Alchemie.